Holon-Institut

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Tiefenzeit - Deep Time -

Überall ist inzwischen die Rede vom Wandel – wir müssen uns wandeln, unsere Sozialsysteme müssen sich wandeln, unsere Politik, unser Handeln, unser Denken... Es gibt eigentlich keinen Bereich unseres Lebens mehr, in dem nicht von Wandel die Rede ist. 
Rilke dichtete in seiner Sonnette an Orpheus:
'Wolle die Wandlung. O sei für die Flamme begeistert, drin sich ein Ding dir entzieht, das mit Verwandlung prunkt; jener entwerfende Geist, welcher das Irdische meistert, liebt in dem Schwung der Figur den sich wendenden Punkt...Jeder glückliche Raum ist Kind oder Enkel von Trennung, den sie staunend durchgehn. Und die verwandelte Daphne will, seit sie lorbeern fühlt, daß du dich wandelst in Wind.'

Seit den 1980er Jahren referieren wir in unseren tiefenökologischen Seminaren über den "Großen Wandel", der in unserer Lebenszeit geschieht. Wenn wir von Wandel reden, meinen wir nicht Reduktion, meinen wir nicht ‚Gürtel enger schnallen’, meinen wir nicht Globalisierung von Kapital und Dienstleistung’ und noch mehr Wachstum und Konsum, meinen wir nicht Verlagerung von Arbeitsplätzen in sogenannte Billiglohnländer’ und wir meinen vor allem nicht, unser Denken und unser Fühlen einschränken oder von anderen bestimmen zu lassen. Wir alle spüren und fühlen, was in unserer Welt geschieht und manchmal ist die Faust nicht mehr nur in der Hosentasche geballt.

Wenn wir davon sprechen, dass der Wandel jetzt geschieht, definitiv jetzt, dann heißt das im tiefenökologischen Sinne auch: „Es gibt keine Garantie für ein Überleben in unserem Sinne!“

Wir können „versagen“, es kann passieren, dass alles Leben, wie wir es kennen oder wie es uns vertraut ist, stirbt. Brian Swimme und Thomas Berry, zwei führende Wissenschaftler bzw. Philosophen des Denkens in Systemen und Kreisläufen sprachen davon, dass wir heute in der 6. Phase eines Massenaussterbens von Arten leben. In einer der früheren Phasen – vor rund 60 Millionen Jahren starben fast alle großen Echsen aus, davor gab es eine Phase, in der 95 % allen bekannten Lebens vernichtet worden war und noch weiter davor gab es eine Phase, als die Bakterien auf unserem Planeten eine Sauerstoffwelt schufen. Diese war damals für alles Leben, das pure Gift.

Es kann uns heute erneut ereilen – wir haben keine Garantie für unser Überleben oder das zukünftiger Generationen. Und das ist neu in unserem Denken und Fühlen. Unser Großmütter und Großväter und weitere Vorfahren haben selbst in Zeiten größter Verzweiflung und Kriege immer noch den Glauben haben können, dass nicht alles vernichtet wird, dass es eine Zeit "danach" für uns Menschen geben wird... heute ist dieser Glaube nicht mehr unbedingt realistisch. 


Was heißt das für unser Leben in der Zeit? Was bedeutet das für unseren Begriff von Zeit?
Der Große Wandel, den wir in der Tiefenökologie beschreiben, ist der einer Ökologischen Revolution, ein Wandel grundsätzlicher Art – institutionell, kulturell, strukturell – bezogen auf alle unsere Werte und Ideale. Dieser Wandel ist nicht im Fernsehen zu sehen, nicht in Sozialen Medien und schon gar nicht in Zeitungen zu lesen. Wir können ihn erleben – „draußen“ – wenn wir sehen, wo der Wandel tatsächlich stattfindet.

Wenn wir nicht fatalistisch oder zynisch reagieren möchten, können wir den Wandel begleiten, unterstützen oder vorbereiten bzw. die Menschen, die dazu bereit sind, selbst wenn wir nicht wissen, worauf wir uns überhaupt vorbereiten sollen.

Es ist als ob wir in die "Unterwelt" steigen müssten, uns in die Dunkelheit begeben müssten und mutig losmarschieren. Vielleicht haben wir eine Hoffnung von einem Licht am Ende des Tunnels, vielleicht wünschen wir uns ein solches Licht, aber wir wissen es nicht, wir haben keine Ahnung, ob da überhaupt ein Licht ist.

Wenn wir uns also auf den Weg machen, dann gibt es mehrere Möglichkeiten der Begleitung: Können wir das Ganze gelassen und geduldig begleiten und den Prozess mit Heiterkeit fördern, weil wir wissen, dass der Wandel nötig ist und uns freuen können, dass er geschieht? Können wir gewiss sein, dass zukünftige Wesen rückblickend vielleicht sagen werden:

„Oh – obwohl sie keine Garantie hatten, haben sie trotzdem weitergemacht. Sie müssen es auch für uns getan haben!“

Wenn ich vorher sagte, wir können den Wandel erfahren, wenn wir nach „draußen“ gehen, dann meine ich damit die drei folgenden Ebenen:

Wir erleben den Wandel auf der politischen Ebene. Es gibt unzählige von Gruppen, die sich politisch engagieren – für den Artenschutz, für die letzten Urwälder, für den Erhalt unseres genetischen Pools, all die Aktionen von attac und von greenpeace, von Earth First! oder ganz nah – die vielen Aktionen hier rund um den Klimawandel und die Kohleförderung – und wir erleben, wie langsam eine Vernetzung entsteht, eine ganz andere Form von Globalisierung wie sie die kapitalistischen und neoliberalen Großkonzerne predigen, eine Globalisierung von unten, die uns deutlich macht:

Wir sind die Mehrheit! Wir sind schon viel mehr, als mancher Banker ahnt.

Doch reichen all diese Aktionen alleine nicht aus – wir benötigen mehr für die Wende, z.B. auf der Ebene unserer Strukturen und Institutionen:

Wir erkennen zunehmend, dass die alten Systeme und Organisationen keine adäquaten Lösungen mehr bieten. Der Bürokratismus hat überall überhand genommen, Institutionen und Rituale sind inhaltsleer, ohne Sinn und der Geist ist längst ausgezogen. Der Neoliberalismus der Thatcher Politik in den 1980er Jahren, wonach es darauf ankommt, einer Taube so viel Futter zu geben, dass auch den Spatzen noch ein paar Krümel übrig bleiben, hat unsere Welt entsolidarisiert und die Schere zwischen arm und reich weiter geöffnet, als es jemals vorstellbar gewesen wäre. Bereits heute haben 50 % aller Haushalte in Deutschland nur noch max. 100 Euro monatlich zur freien Verfügung. 100 Euro für eine ganze Familie für Zeitungen, Kino, Frisör, Theater, Restaurants, Familienfeste oder andere alltägliche Dinge.

Es gelingt uns zunehmend, dieses System von Wirtschaft und Welthandel, von WTO, IWF und Weltbank im Verbund mit den Konzernen zu entmystifizieren und wir wissen, sie sind nicht zukunftsbeständig.

Auf der anderen Seite gibt es inzwischen viele kleine Gemeinschaften und Kooperativen und sie wachsen weiter und oft schnell wie kleine grüne Sprösslinge im Frühling, die neue Wege von Gemeinschaft erproben, neue Wege der Heilung suchen und neue Wege der Produktion. Wir alle kennen sie. Z.B. die überall ins Leben gerufene Sozialforen sind ein solcher neuer Weg und es entsteht eine neue Form von Solidarität außerhalb von Großinstitutionen, außerhalb der üblichen Formen, die viel mit Selbstorganisation zu tun haben, mit einer Enthierarchisierung und Antileitungsfunktionen. Die großen Erfolge unsere Freundinnen und Freunde der Anti-Kapitalfront, wie sie Naomi Klein in ihren Büchern beschreibt, sind u.a. darauf zurückzuführen, dass die Organisationsformen gänzlich neu und für die herrschenden Bürokraten nicht zu fassen sind.

Im Verbund von Veränderungen auf der institutionellen Ebene, von der wir hier reden, mit politischen Aktionen gibt es eine dritte wichtige Ebene, die für den Wandel mitentscheidend ist –
die Ebene des Bewusstseinswandels, jene Ebene, die unseren vorgegebenen „Code“, unsere Werte und Ideale von dem was richtig und falsch ist, verändert.

Dabei geht es nicht nur um einen Paradigmenwechsel, einen geistigen Prozess, der sich in unseren Köpfen abspielt, sondern vor allem auch in unseren Herzen, in unserem Engagement, in unserem intuitiven Wissen, was alles falsch läuft, in unserem Mit-Fühlen. Je mehr wir erkennen, dass wir alle miteinander verbunden und alle Lebensprozesse voneinander abhängig sind, desto mehr erfahren wir auch, woher dieses Mit-Fühlen kommt. Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass – wie John Seed es ausdrückt – unsere alten Ur- und Regenwälder wie unsere größeren grünen Lungen sind, die wir dringend benötigen, wenn wir weiterhin atmen wollen, dann können wir auch den Schmerz spüren, wenn ein Teil dieser Lungen zerstört, verbrannt oder zu Holzschnipseln zerhäckselt wird. Das ist völlig normal. Nur in unserem Denken hat uns dies niemand beigebracht. Uns hat man 2000 Jahre lang gelernt, die Dinge getrennt voneinander zu betrachten und dies ist in unserem kulturellen Code tief verankert.

In vielen Kulturen, vor allem vielen Kulturen von Ureinwohner und auch in vielen Philosophien finden wir eine symbolhafte Zeichensprache für diesen Wandel. Im Buddhismus heißt es, dass der Geist seinen Sitz im Herzen hat. Und bei christlichen Mystikerinnen wie Hildegard v. Bingen können wir nachlesen:

„Ich aber bin jener Lufthauch, der alles Grüne nährt und die Blüten sprießen lässt mit ihren reifenden Früchten. Auch bin ich jener Regen, der aus dem Tau herweht, durch den alle Kräuter mich anlachen zu fröhlichem Leben.“

Die Ureinwohner der Torres Strait Inseln zwischen Neu Guinea und Australien haben das Bild einer Kokospalme in ihrer Kultur, worin ihnen sich alle Beziehungen im ganzen Universum offenbaren, die First Nations People im hohen Norden von Kanada beginnen einen Satz, wenn sie gefragt werden, wo die Wurzeln für ihre heutige Arbeit liegen, mit den Worten: „Nun, meine Wurzeln reichen 30.000 Jahre zurück...“.

Diese symbolhafte Sprache vermittelt uns nicht nur eine neues Verhältnis, in der Zeit zu leben, sie vermittelt uns auch, wohin der begonnene Bewusstseinwandel führt.

Alle drei Ebenen, jene der politischen Aktionen, der Entwicklung alternativer Strukturen in Institutionen und Organisationen und unser Wandel im Bewusstsein beeinflussen sich gegenseitig und sind wie in einem Kreislaufprozess eng miteinander gekoppelt. Gemeinsam können sie unseren „Code“ verändern. Und es gibt dabei kein „Oben“ oder „Unten“, keine Hierarchie, was wichtiger und weniger wichtiger ist, keine Priorisierung im Sinne, zuerst kommt das eine, dann das andere...

Nein – der Wandel geschieht auf allen 3 Ebenen gleichzeitig! Damit erübrigt sich auch die alte Streitfrage, was denn nun wichtiger ist – die Arbeit nach außen in Form von Aktionen und Teilnahme am Widerstand oder die Arbeit nach innen, um mich dafür erst mal zu präparieren. Das ist langweilig, weil beides geschieht, gleichzeitig und auch gleichwertig ist! Und es kann alle von uns, die sich ihr „burn out – Syndrom“ holen, indem sie von einer Aktion zur nächsten hetzen etwas beruhigen, denn der Wandel geschieht. 

Mir hilft das Bild von einem Schwarm von Wildgänsen, wenn sie auf ihrem langen Flug von Nord nach Süd im Herbst bzw. von Süd nach Nord im Frühling bald den halben Erdball umfliegen. Habt ihr so einen Schwarm von Zugvögeln mal beobachtet? Könnt ihr euch vorstellen, was mit einem eventuell auserkorenen Leittier passieren würde, wenn es die ganze Strecke an der Spitze flöge? Wie lange würde es wohl durchhalten? Nein, es gibt da kein Leittier, sondern es gibt den Schwarm, der sich organisch selbst organisiert und jede oder jeder darf mal ran und muss sich in den Wind stellen, damit die anderen ausruhen können. Wir sollten dies beherzigen bei allem was wir tun und darauf vertrauen, dass wir viele sind und immer mehr werden, die es auch können! 

Und manchmal machen sie unterwegs eine Pause!

An einigen Stellen habe ich den Begriff der „Zeit“ bewusst herausgestellt und danach gefragt, was das alles mit unserem Zeitbegriff zu tun hat.

Nun vielleicht einige Aspekte vorneweg:

·        Der amerikanische Innenminister unter Reagan in den 1980er Jahren sagte einmal, dass wir alle Ressourcen ruhig verbrauchen können und es auch keine Rolle spielt, wie viel Abfall wir bei der Produktion erzeugen, weil wir sowieso die letzte Generation der Menschheit seien;

·        Mit der Erfindung der Atombombe, man könnte auch sagen, mit dem Öffnen der Büchse der Pandorra, hinterlassen wir unseren nachfolgenden Generationen für mehrere Zehntausende von Jahren ein hochgiftige Substanz, die alles Leben vernichten oder radikal verändern kann; die First Nations People im Yukon, im hohen Norden Kanadas, können vielleicht noch am ehesten erahnen, was das heißt. Frage: Kennen wir heute noch alle die Waffenlager und Müllhalden auf denen die Nazis ihre Giftabfälle gelagert haben? Das ist gerade mal 60 Jahre her;

·        in der Musik hat man vor einigen Jahrhunderten die Geschwindigkeit des Taktes verändert. Schlägt das Pendel nach links aus ist dies ein Takt, schlägt es nach rechts aus, ein zweiter Takt usw. Früher war der Takt genau doppelt so lang – der Ausschlag des Pendels nach links, dann nach rechts – das war ein Takt. Ich würde gerne einmal die Musik Beethovens im Originaltakt hören, so wie er sie hörte, als er seine Symphonien komponiert hat;

·        ein Freund von mir, der an Kinderlähmung erkrankt war und inzwischen lange verstorben ist, benötigte aufgrund seiner Behinderung für eine Strecke von 50 m zu Fuß vielleicht 10 Minuten. Als wir nach Feierabend einen großen Platz gemeinsam überquerten und über Langsamkeit sprachen, sagte er zu mir: „Gunter, das was ich in diesen 10 Minuten alles sehe und erlebe, das wirst du niemals erfahren.“

·        manchmal sehen wir das Bild eines Hamsters vor unserem geistigen Auge, der wie in einem Laufrad sich immer schneller bewegen muss, um nicht umzufallen. Und anstatt einfach abzuspringen er gezwungen ist, sich immer schneller zu bewegen, vielleicht so lange, bis er tot umfällt.

All die Beispiele drücken Fatalismus aus, hinterlassen diffuse Bedrohungsängste oder sind ein Beispiel für die Schnelllebigkeit unserer Zeit. Und wir alle sind davon nicht verschont. Wir haben unser Gefühl für die Zeit völlig verloren oder ich sage auch: Es ist total verwahrlost! Selbst hier gehen wir schnell mal in ein Seminar oder ein Retreat, manchmal verlassen wir es bevor es zu Ende ist, weil wir schnell noch woanders hin wollen, manchmal kommen wir zu spät, weil wir vorher noch woanders etwas ganz Wichtiges hatten und jedes Mal sind wir es schon gewohnt, das Ganze immer irgendwie zu rechtfertigen. Das gelingt uns leicht. Es scheint normal geworden zu sein, dass wir uns wie in einem Laufrad bewegen – auch wenn es rund läuft und wir im Grunde dabei ja noch nicht einmal vorwärtskommen! Wie können wir aussteigen?

Nun, vergegenwärtigen wir uns zuerst das Bild unserer Kultur, wenn wir über „Zeit“ nachdenken oder darüber reden. Automatisch gehen wir dabei von einem linearen Zeitbegriff aus, es gibt ein „früher“ oder „vorher“ und ein „später“ oder „nachher“. Für einige von uns gibt es auch noch ein „Hier und Jetzt“. Aber da beginnt schon unser Dilemma. Wieviel ist „Hier und Jetzt“? Eine Sekunde, eine Minute, eine Stunde, ein Tag, ein Ereignis lang? Wir könnten darüber lange philosophieren, aber im Grunde müsste es ein relativer kurzer Moment sein, wenn wir in dem linearen Modell konsequent bleiben.


Vergangen-                                     Gegen-                                            Zukunft

heit                                                     wart

unwiederbringlich vorüber       hier und jetzt, wo wir                     entfernt sich von
oder sogar verloren                         „sind“                                         uns

Wir besuchen dann Seminare, in denen es um so Begriffe wie „Zeitmanagement“, „Time-Planer“ oder „Zeitfresser“ geht oder erfinden Strategien zur „Zeitplanung“, um aus diesem Dilemma herauszukommen. Indes – wir sind immer noch im Laufrad gefangen und wir können noch so viele Seminare über Zeitmanagement besuchen, von denen es ja eine Unmenge gibt, es hilft uns einfach nicht weiter. Was wir dort lernen ist vielleicht, wie wir unsere Schritte besser miteinander koordinieren können, vielleicht wie wir auch einmal hochspringen können und wieder sicher auf unseren Füßen landen, wir können vielleicht auch lernen, wie wir organisiert noch schneller laufen können – indes, wir sind immer noch Teil im Laufrad!

Wenige von uns, sind sich dabei bewusst, dass es mal anders war, dass es eine Vergangenheit gab, die Zukunft hat dabei kaum noch jemand im Blick. Mit der zunehmenden Zeithetze verschwindet jegliches Lebensgefühl und Bezogenheit in der Zeit zu leben.

Tyron Cashman, ein Wissenschaftler der eng mit Gregory Bateson zusammengearbeitet hat, sagte einmal in einem Seminar, dass das Verschwinden der Zukunftsbezogenheit eine der größten Gefahren für das Überleben einer Spezies ist. Vor einigen Jahren sagte mir eine 25-jährige Teilnehmerin in einem Seminar, wo ich über die verheerenden Auswirkungen der neuen Sozialgesetze (= Hartz IV) referierte: „Wofür soll ich eigentlich noch an die Zukunft denken oder gar Geld zurücklegen. Einmal habe ich nicht so viel Geld, das ich zurücklegen oder sparen könnte, zum andern weiß ich ja gar nicht, ob wir überhaupt eine Zukunft haben. Weshalb soll ich also sparen für eine Zeit in 20, 30 oder 40 Jahren? Ich denke nur an die nächsten 5 Jahre, alles andere interessiert mich nicht!“ Ich finde das alarmierend. Wenn die junge Generation keine Zukunftsbezogenheit mehr hat, dann sind wir nicht mehr weit entfernt, von dem, was der amerikanischen Innenminister gesagt hat.

Die Frage bzw. die Tatsache, dass wir den zukünftigen Wesen, wie immer sie auch sein mögen, als „nukleares Erbe“ in Form von Plutonium u.a. giftigen Stoffen einige Brocken hinterlassen, kann merkwürdigerweise aber unsere Sichtweise von dieser linearen Denkstruktur verändern, v.a. jene der Gegenwart.

Wir „sind“ eben nicht nur in jener kleinen Schachtel „gefangen“, die wir als „unsere Zeit jetzt“ betrachten: 

Die Schachtel schwankt immer mehr, der Zeithorizont darin wird immer kürzer (man denke an die ¼-jährliche Bilanzen anstatt Jahresbilanzen – das ist noch gar nicht lange so).

Robert Lifton, ein amerikanischer Arzt, der u.a. die Psyche von KZ-Ärzten erforscht hat, in bezug auf ein fast schon schizophrenes gespaltenes Bewusstsein – hier „braver Familienvater“ dort KZ-Schlächter – sieht einen wichtigen Faktor oder eine wichtige Ursache dafür, dass wir die Vergangenheit und die Zukunft verloren haben, bzw. wir haben dies als Verlust in Kauf genommen, in der Schaffung der Atomwaffen.

Das psychische Element dabei ist:  Wir verdrängen unser Denken an die zukünftigen Wesen, weil wir uns angesichts dessen, was wir geschaffen haben und was wir hinterlassen, schuldig fühlen und uns schämen! (Soweit die Aussage eines Kinderarztes, als er sich der Haltbarkeit von Plutonium bewusst wurde.)

Durch unsere Aktionen und unser Arbeit, die wir auch „Entschleunigungsarbeit“ nennen können, können wir einen heilsamen Schritt tun, wieder heimisch zu werden in der Zeit, diesen fast schon „biologischen Bruch“ wie Lifton es beschreibt, kitten, in dem wir eine neue Beziehung zu und in der Zeit entwickeln.

Jeremy Rifkin, der Autor des Buches „Das Ende der Arbeit“ spricht davon, das wir im Gegensatz zu den bestehenden Machtrhythmen der kapitalistischen Welt, so etwas wie „Einfühlungsrhythmen“ wieder entdecken oder wieder entwickeln müssen. Damit meint Rifkin eine Art Wiederentdeckung der organischen Rhythmen des Ökosystems Erde, die es zu verinnerlichen gilt oder man könnte auch sagen, wir mit den Schwingungen und Vibrationen des Universums wieder in Einklang kommen – „Einfühlungsrhythmen“. Ein Denken in solchen Dimensionen ist nur dann möglich, wenn wir darin eine spirituelle Haltung erkennen können.

Wir heilen damit auch uns selbst und können die Verbindung zu den zukünftigen Wesen neu herstellen. Wenn wir diese spirituelle Haltung nicht akzeptieren oder respektieren, ist es kaum möglich, eine andere Haltung zur Zeit sich bewusst zu machen, obwohl es eine andere Sichtweise des Begriffes „Zeit“ gibt:

Denken Sie (Denkt) an das Beispiel aus der Musik von vorhin mit dem Takt eines Metronoms. Oder noch mal H. v. Bingen: „...was immer die Menschheit mit der Linken oder der Rechten tut, durchdringt das Universum...“. 

Den zukünftigen Wesen ist es völlig egal, wer von uns bei greenpeace oder attac oder sonst wo aktiv gewesen ist oder wer sich bei politischen Aktionen gegen Atommülltransporte oder den Bau von Atomkraftwerken oder gegen den Krieg engagiert hat. Sie wird mit Sicherheit nur eines interessieren und das ist die Tatsache:
Wir sind jene Generation, die das „giftige Feuer“ erfunden und auf unsere Welt gebracht hat und es irgendwo tief unten, wo es in ein paar Hundert Jahren niemand wer weiß, versteckt hat, wo es dann vor sich hinlodert und irgendwann durch irgendein Ereignis, seine schreckliche Energie entfalten wird!

Nur das wird sie interessieren.

Und sie werden uns nur eines fragen:

„Was habt ihr damit gemacht? Habt ihr es wirklich so gut versteckt, so dass wir es nicht finden können und deshalb davon krank werden?“

Erinnern wir uns an Rilke:

„Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn. Ich werde den letzten vielleicht nie vollbringen, aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott, um den uralten Turm und ich kreise jahrtausendelang
und ich weiß nicht, bin ich ein Falke, ein Sturm oder ein unendlicher Gesang.“

Und selbst in der Bibel ist bei Paulus zu lesen: „...eine Wolke von Zeugen...“.

Die Wesen der Vergangenheit und der Zukunft – sie alle sind um uns herum! Wenn wir uns den evolutionären Prozess von der Entstehung des Lebens vergegenwärtigen, erkennen wir, dass sie wirklich da sind – wir haben sie aus unserem Bewusstsein verscheucht, ihnen keinen Raum mehr gelassen, aber sie sind da: In unseren Knochen und Atomen – seit Jahrtausenden darin lebend – schauen wir uns die fragile Form von Korallen an, dann können wir eine Struktur erkennen, die denen unsere Gehirne sehr ähnlich ist, die Atome und Sauerstoffmoleküle, die unsere Vorfahren vor Tausenden von Jahren ein- und ausatmeten – es sind diesselben, die wir in diesem Atemrhythmus atmen und unsere Nachfahren ebenso. Unsere zukünftigen Wesen – sie sind angelegt in unserer DNA ....

Wenn wir verzweifelt sind, kann uns das folgende Bild helfen:

Stellen wir uns vor, dass die zukünftigen Wesen über unsere Schultern schauen und uns heimlich ins Ohr flüstern: „Du bist es doch, der jetzt lebendig ist – wir selber können noch nichts tun, wir leben doch noch gar nicht, aber schließlich geht es um uns! Also bist du es, der jetzt handeln muss und wir werden dich dabei anfeuern – wir werden mit dir sein!“

Einige der First Nations People in Nordamerika sagten häufig, bevor sie ihren Stamm für einige Tage für die Jagd verließen: „Heute ist ein guter Tag zum Sterben“ und dabei nahmen sie die Vorfahren auf ihrer linken Schulter mit und ihre Nachfahren auf der rechten.

Die Herausforderung heute besteht darin, uns von den Bildern, den Werten und Idealen eines patriarchalisch-hierarchisch strukturiertem Denken, das selbst in unser spirituelles Denken Einzug gehalten hat, zu befreien. Wir müssen uns quasi Dekonditionieren von der Angst vor Materie, Dunkelheit und dem Wandel der Natur.

Und den Hass der daraus erwächst ablegen!Wir sind konditioniert aus dieser Angst heraus auf:
Vergleichen, verurteilen, beurteilen, gegeneinander kämpfen.
Wenn wir uns davon befreien wollen, dann gilt es endlich damit anzufangen:

·        die Dinge so zu lieben wie sie sind

·        das Staunen neu zu entdecken

·        Überraschungen willkommen zu heißen

·        Freundschaften zu schließen

·        Freundschaft auch mit Themen wie Tod als normaler Prozess, Endlichkeit, Materie...

·        dem Neuen nicht-wissend zu begegnen

Einige der neuen Wert könnten sich in Begriffen ausdrücken wie
Gnade – Synergie - Dankbarkeit